Ein verdächtig klassischer Soundbastler

Ein verdächtig klassischer Soundbastler
30.12.99Ein verdächtig klassischer Soundbastler
Nicht nur in Enland erfolgreich,[link widoczny dla zalogowanych], sondern auch bald in Deutschland: der junge britische Komponist Mark-Anthony Turnage Von Manuel Brug
Wenn er seinen Brille abnimmt - und das tut er meistens, außer auf offiziellen Fotos - dann könnte man ihn für den working class hero unter den Komponisten halten. Klein, kompakt, mit knubbeligen Gesichtszügen und wirrem Haar, am liebsten in Jeans,[link widoczny dla zalogowanych], Sneakers und Trainingsjacke. Ein wenig sieht er aus wie die sanfte Version der Höllengeburten des Malers, die er in seinem Orchesterstück "Three screaming popes" in Töne gesetzt hat: Francis Bacon.
Das duftet nicht nach Hochkultur. Das ist England,[link widoczny dla zalogowanych], wo es nach Stahl und Schlacke riecht. Der Schein aber trügt. Mark-Anthony Turnage, 40 Jahre alt, wurde kein Rocker und nicht Hooligan,[link widoczny dla zalogowanych], sondern einer der am meisten gespielten zeitgenössichen englischen Komponisten. Einer, der um das Dilemma des elfenbeinernen Turmdaseins weiß, der den Spagat zwischen elitär sein und verstanden werden wollen wagt und schafft. Wohl weil er so theatralisch komponiert. Seine Klanglandschaften springen einen an, sind direkt, auch agressiv, dann wieder zärtlich, sanftmütig, verloren zwischen Zivilisationsmüll und dem Schrei nach Verständnis - ohne larmoyant zu werden. Eine großstädtische, aktuelle Musik, nicht so weit weg vor den elektronischen Soundbasteleien des Avantgarde-Pop. Dabei ist Mark-Anthony Turnage kein Außenseiter, auch dieses Komponistenklischee zieht nicht. Sein Hintergrund ist einfach, aber sauber, sein künstlerischer Weg ohne Irrungen, Wirrungen und frühes Leid. Einer, der stets Erfolg gehabt hat,[link widoczny dla zalogowanych], soweit das im stark rückläufigen Bereich der zeitgenössischen Musik noch möglich ist. Der in England einflussreiche Komponist und Dirigent Oliver Knussen hat Turnage als Zögling am Royal College of Music in London gefördert und an Hans Werner Henze weitervermittelt. Dieser wiederum gab ihm einen Opernauftrag für seine Münchner Biennale. Das war 1988. Freilich mit Musik. Und keiner schlechten. "Greek" markiert den Beginn seiner Karriere und knüpfte den Kontakt zu seinem deutschen Verlag. Turnage ist ein Langsamschreiber,[link widoczny dla zalogowanych], sein Werkverzeichnis füllt wenige Blätter. Viele Stücke haben einen szenischen Urgrund, sprechende Titel oder konkrete Situationen. Auch Autobiographisches findet sich,[link widoczny dla zalogowanych], freilich kunstvoll verklausuliert, wie bei seinem großen Orchesterpoem "Blood on the Floor", zu dem der Drogentod seines Bruders den Anstoß gab. Das hochkomplexe Gebilde mutierte immer mehr zu einer Hommage an die improvisatorischen Fähigkeiten seiner Solisten John Scofield, Peter Erskine und Martin Robertson. Überhaupt hat ihn zu dem Stück, zu einer Annäherung an den Jazz,[link widoczny dla zalogowanych], Simon Rattle verführt, dem sich Turnage verbunden fühlt. Ehrensache,[link widoczny dla zalogowanych], dass der Dirigent dieses Stück mit den Berliner Philharmonikern stemmen möchte. Weiteres wird dort sicher folgen. Augenblicklich schaut Mark-Anthony Turnage freilich nach Hamburg, London und Dortmund. In der Hansestadt ist er er einer von sieben Komponisten, die zu einem ambitionierten Milleniumskonzert ein Stück beisteuern. Seine "Three evennig songs" verraten schon im Titel ihre melancholisch-rückschauende Anmutung. Im Februar folgt an der English National Opera, wo Turnage eine Art Hauskomponist ist, "Der Pott" nach Sean O'Casey. Dortmund spielt die Oper im April nach. Ein Schelm, wer denkt,[link widoczny dla zalogowanych], Turnage habe sich dafür nur interessiert, weil es - am Rande zumindest - um Fußball geht.
"Sieben Hügel" am 2. Januar in der Hamburger Musikhalle mit weiteren Werken von Rihm, Henze, Reimann, Ruzicka, Sheng,[link widoczny dla zalogowanych], Rouse, Pintscher.
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